Liebe - Beziehung - Zeitvertreib

17.08.   18:22

Liebe Lena,

vielen Dank für Deine ausführliche Mail. Nachdem ich nichts mehr von Dir gehört hatte, dachte ich mir schon, dass es Dir wohl sehr schwer fällt, überhaupt mit mir zu reden und Du über Deine eigene Courage erschrocken warst. Deine Worte haben mich sehr ergriffen und ich kann mir gut vorstellen, daß es damals für Dich noch schmerzhafter war als für mich. Eigentlich wollte ich mir für eine Antwort Zeit nehmen, die ich gerade nicht habe, da ich morgen für ein paar Tage nach Istanbul fliege. Aber ich kann jetzt auch nicht eine Woche warten und habe sowieso den ganzen Nachmittag über unsere Situation damals nachgedacht anstatt zu arbeiten ... Denn eines muss ich unbedingt loswerden bzw. dementieren: Du warst kein Zeitvertreib, keine Affäre, keine Bettgeschichte! (obwohl es auch eine sehr schöne Kuß-/Liebes-/Bettgeschichte war). Ich verstehe aber, daß Du das dann im Nachhinein so gesehen hast. Vergiß bitte nicht, wie verrückt ich nach Dir war! Für mich war das wie ein Rausch. Ich weiß, Du konntest das nicht glauben, weil du Deine komische kleine schwarzhaarige Kommillitonin (Name vergessen) immer für attraktiver gehalten hast. Die hat mich aber gar nicht beeindruckt. Du hast mich umgehauen, ich war auf Wolke Sieben. Ich erinnere mich daran noch sehr genau, obwohl ich sonst immer fast alles vergesse. Und selbstverständlich war das eine Beziehung! Etwas anderes lasse ich nicht gelten! Und ich wollte Dich auch nicht einfach gehen lassen. Aber es war auch für mich keine leichte Situation, ich lebte in einer so unbestimmten Phase ohne klare Zukunftsperspektive. Das Leben in B. war zwar nett, aber konnte nur ein Provisorium sein. Ich war kein Student mehr, obwohl ich in der WG und mit Dir so gelebt habe. Natürlich hätte ich mich früher von Constanze trennen müssen, aber Trennungen fallen mir schwer.

Das eigentliche Problem (für mich), über das wir glaube ich auch öfters gesprochen hatten, war aber der Altersunterschied. Das bedeutet nicht, dass ich Dein Alter nicht geschätzt hätte, ganz im Gegenteil. Aber ich wollte auch gerne eine Familie und dachte, dass ich mich mit Anfang Dreizig mal darum kümmern mußte. Du warst Anfang 20, in den ersten Semestern des Studiums und damit in einer ganz anderen Lebensphase. Viele leben dann unstet, sammeln Erfahrungen, wollen was erleben und sich nicht an einen berufstätigen Mann und Kinder binden. 38 und 47 ist wahrscheinlich kein Problem, aber zwischen 22 und 31 liegt doch eine Welt. Zumindest empfand ich das so. Wenn ich gewartet hätte, bis Du über Dreizig bist, wäre ich mit etwa 40 das erste Mal Vater geworden; wenn Du Dich mit 29 von mir getrennt hättest, wär es vielleicht gar nichts mehr mit Familie geworden. Klingt wahrscheinlich erstmal sehr berechnend, aber man macht sich halt irgendwann Gedanken über sowas (Frauen ab einem bestimmten Alter ja oft noch viel mehr).

Vielleicht habe ich die Situation bzw. Dich damals falsch eingeschätzt. Viel­leicht hätte es trotz des Altersunterschiedes funktioniert und Du wärst bereit gewesen, mit dem Kinder­kriegen nicht so lange zu warten. Oder ich wäre bereit gewesen, länger zu warten. Aber damals erschien mir das wohl jenseits meiner Vorstellungskraft und die Situation hoffnungslos. Ich habe einfach keine Perspektive für uns gesehen, obwohl ich Dich nicht verlieren wollte. Vielleicht konnte ich deswegen keine klare Entscheidung treffen (wie z.B. die Trennung von Constanze), ich war auch zerrissen. Und Du ver­letzt, weil ich mich nicht von Constanze getrennt und klar für Dich entschieden habe. Du hast daraus anschei­nend geschlossen, dass Du mir nicht viel bedeutest oder nur zweite Wahl bist, aber das stimmt definitiv nicht und ich bitte Dich, das zu glauben! Ich erinnere mich noch, dass ich Dir einmal einen großen Blu­menstrauss geschenkt habe, um eine Kränkung wieder gutzumachen. Ich weiß gar nicht mehr genau, worum es ging, aber wahrscheinlich um dieses Thema (hoffnungslose Beziehung).

Ich glaube, als Du Dich dann das zweite Mal zurückgezogen hast, war ich so schlau oder so dumm, mich zu zwingen, Dir nicht nachzulaufen, vermutlich weil ich wußte, dass ich Dich - zumindest zu dieser Zeit - sowieso nur wieder verletzten würde und wir uns im Kreise drehen würden. Ich hätte diesen Schritt von meiner Seite aus wahrscheinlich nicht getan, aber damit natürlich auch nichts besser gemacht. Ich schreibe das nicht um zu sagen, dass ich mich vorbildlich verhalten habe, sondern nur, damit Du vielleicht auch meinen Stand­punkt ein bißchen verstehst. Auch ich habe einen hohen Preis dafür gezahlt, mich nicht rechtzeitig klar entscheiden zu können, und zwar den, Dich zu verlieren.

Danke übrigens für das nette Foto; Du hast Dich äußerlich kaum verändert, was mir selbstverständlich gut gefällt. Im Anhang kein Foto von mir, sondern ein etwa zwei Wochen altes von meinen beiden Kleinen (Anna, 11 Jahre, und Artur, 9 Jahre). Und musikalische Erinnerungen habe ich auch, aber davon wann anders mehr.

Viele Grüße

Dein Johann

PS: Hast Du Dich wirklich noch an das Datum meines Geburtstags erinnert?