Re: Kiss me

Mein lieber Johann,

ich habe Deine Mail jetzt mehrfach gelesen, aber ich muss gestehen, dass ich immer noch nicht ganz schlau daraus werde. Sie wirkt auf mich genauso unentschlossen, wie Du damals vor 15 Jahren warst.

Zuerst vielleicht auch noch mal ein Musiklink, der meine Gefühle damals eigentlich sehr treffend wieder­gibt: I want you (she´s so heavy)  www.youtube.com/watch?v=J1HbS7v9IEY. Dieser Song geht mir nicht mehr aus dem Kopf, seitdem ich Deine Mail gelesen habe.

Ich war damals einfach dermaßen in Dich verschossen, dass ich dieses Gefühl so extrem nie wieder erlebt habe. Und das finde ich schade, da kommt wohl meine romantische Ader durch. Aber ich habe es mir komfortabel auf Wolke 6 eingerichtet, anstatt wieder von Wolke 7 tief abzustürzen. Von einem Fehlver­halten deinerseits kann man daher wohl auch nicht sprechen, sondern es spiegelt wahrscheinlich einfach nur wieder, dass Deine Gefühle nicht ganz so stark waren, um sich komplett darauf einzulassen. Die Schuld bei einem von uns zu suchen, macht also auch eigentlich keinen Sinn. Vielleicht ist das die äußere Konstellation, von der Du geschrieben hast: Der eine bedingungslos verliebt, der andere zu sehr am zweifeln. That´s life, Punkt.

So ganz genau weiss ich es auch nicht mehr, aber wir haben uns auf einer WG-Party bei Euch kennenge­lernt, das war ca im April vor 16 Jahren und Du warst ganz erstaunt, dass ich so gut küssen kann. Ich dachte danach, dass es das war und hab es unter einem schönen Knutschabend abgespeichert. Bis ich Dich im Treppenhaus der Uni im blauen Rollkragenpulli wiedergesehen habe... Und das Ganze ging dann im on/off-Modus ungefähr ein Jahr. H. müsste so im März vor 15 Jahren gewesen sein. Wann ich dann endgültig den Kontakt abgebrochen habe, weiss ich auch nicht mehr genau. Ich weiss nur noch, dass ich im August vor 15 jahren Physikum gemacht habe und mir Sonja während der heißen Lernphase mitteilen musste, dass Du eine Neue hast. Also tippe ich mal, dass es ca im April/Mai geendet hat. Ich kann mich auch nicht mehr an alles erinnern, es sind aber sehr viele einzelne Bilder, die seit drei Wochen ständig vor meinem inneren Auge aufblitzen.

Ich weiss auch nicht mehr genau, wie es dazu kam, dass ich definitiv einen Schlussstrich ziehen wollte. Wahrscheinlich war es einfach die gesamte unbefriedigende Situation für mich. Ich hatte Angst, dass wir am Ende noch Deine Elternsituation nachstellen würden und ich jahrelang nur Deinen Nebenschauplatz darstellen würde. Und da war mein Selbstwertgefühl so groß, dass ich das nicht wollte. Du hast mich sogar etwas später noch einmal angerufen und gefragt, ob wir nicht doch noch mal weiter machen könn­ten. Aber Du warst immer noch mit Constanze zusammen und hast ziemlich schnell aufgegeben, als ich sagte, dass es unter den Bedingungen für mich nicht weitergeht.

> Und man vermisst immer, was man nicht hat. Wir hätten es natürlich auch versuchen können, wenn ich innerlich freier und etwas entspannter bezüglich Zukunft etc. gewesen wäre. Vielleicht wäre ein „Ich liebe Dich, Du Arsch“ ja nicht verkehrt gewesen. <  Was soll ich damit anfangen? Willst Du mir sagen, dass ich einfach einen längeren Atem hätte haben sollen und ein "Ich liebe Dich, Du Arsch" irgendetwas geändert hätte?

> You're just a memory of a love,That used to mean so much to me < Oder ist das Deine Art zu sagen "Mädel, mach mal halb lang, die Geschichte ist 15 Jahre her, ich hab da schöne Erinnerungen dran, aber es ist halt nur eine Erinnerung"? Aber es scheint Dir auch wieder nicht ganz gleichgültig zu sein, sonst hättest Du nicht mehr geantwortet, nicht so viel darüber nachgedacht und keine Erklärungsversuche gestartet.

Lustigerweise dachte ich bis zu Deiner letzten Mail, dass ein Treffen total unrealistisch ist und wahr­scheinlich wirklich gar keine gute Idee. Aber eigentlich hätte ich jetzt gerade extrem Lust, Dich zu sehen und mit Dir zu reden. Vielleicht wäre das auch besser, als eine Email zigfach lesen zu können und unzäh­lige Interpretationsmöglichkeiten zu haben. Ich kann mir allerdings mehrere Szenarien vorstellen, wie so ein Treffen enden könnte und das macht mir Angst. Wie und wann so ein Treffen überhaupt stattfinden könnte, weiss ich aber auch nicht. Da müsste ich schon wieder eine Fortbildung in B. haben oder so. Würdest Du Deiner Frau/Freundin erzählen, mit wem Du Dich triffst?

Zu S.: "lasse ich nicht gelten" - ich habe nie behauptet, dass ich Dich unbedingt sehen wollte. Wie ich bereits in meiner ersten Antwort geschrieben habe, wollte ich ja eigentlich nie wieder Kontakt zu Dir aufnehmen. Das Praktikum war vor 5 Jahen und wenig später habe ich geheiratet. Da habe ich Muffensausen bekommen und war eigentlich froh, dass die Nummer nicht mehr stimmte... Und davon abgesehen, habe ich es sogar nach der Arbeit einmal versucht, Dich unter Deiner Büro-Nummer zu errei­chen, aber da hattest Du wahrscheinlich auch schon Feierabend. Deine Email-Adresse wusste ich sowieso von der Postkarte, aber ein Smartphone hatte ich zu der Zeit nicht und ich habe von den zwei Wochen wahrscheinlich mindestens eine überlegt, ob ich Dich kontakten sollte oder nicht. Damit habe ich es als Schicksalhaft bewertet, dass es wohl nicht sein soll mit einem erneuten Aufeinandertreffen.

Wie geht es Dir eigentlich als Familienvater? Bist Du glücklich damit? Ich hätte für mich ja nie gedacht, dass mich die Mutterrolle ausfüllen könnte, aber da habe ich mich einfach mal komplett geirrt...