Re: Kiss me 5

05.09   12:52

Meine Liebe,

mit der Auszeit hat es nicht ganz geklappt, was soll´s. Besser, ich schreibe jetzt als wenn ich andauernd darüber nachdenke, was ich Dir schreiben werde. Und ich habe gerade Zeit, weil die Familie entweder außer Haus ist, vor dem iPad hängt oder mit dem Freund spielt. Also recht entspannter Samstagmorgen. Aber es stimmt tatsächlich, ich beschäftige mich zu viel mit Dir. Eigentlich permanent seit etwa vier Wochen. Es kommt mir manchmal vor wie ein Sog, der mich immer stärker mitreißt. Widerstand zweck­los. Oder ich fühle mich wie ein Neurotiker mit Zwangsgedanken. Aber vielleicht ist da ja auch Einiges nachzuholen … Du warst so lange schön eingesperrt und gut versteckt im Schrank meiner Erinnerung. Wie eine verschlossene Schatzkiste, die nun plötzlich wieder geöffnet ist und man steht staunend davor. Ich sollte aufpassen. Und beantworte bzw. kommentiere mal lieber Deine Fragen und kleinen Stiche­leien.

Ich habe über Deine letzten beiden Briefe wirklich sehr geschmunzelt, aber nicht wegen der Hoffnung auf Rehabilitation, die ich aus Deinen Worten heraushören zu glauben meinte (in der Mail davor klangst Du tatsächlich etwas versöhnlicher). Ich war doch nicht so verrückt nach Dir nur wegen erotisch-sexueller Dinge. Bitte denk das nicht. Du hast etwas sehr Anziehendes, das mich immer schwach gemacht hat und das ich nur schwer in Worte fassen kann. Es ist eben Deine besondere Art, Dein spezieller Humor, dieses Unsichere und Melancholische (das, da bin ich mir ziemlich sicher, nicht nur mit unserer problematischen Beziehung zu tun hatte, sondern einfach ein Wesensmerkmal von Dir ist). Jedenfalls habe ich Dich in diesen Worten so schön wiedererkannt. Ich konnte mir beim Lesen gut vorstellen, wie Du das schreibst und Dich dann immer wieder ungeplant über etwas ärgerst (Jule, Heinz-Otto, …).

Aber jetzt erst mal zu dem „konsumieren“. Unglaublich. Leider werden wir uns da wohl nie einigen kön­nen und immer verschiedene Sichtweisen haben. Du meinst, ich habe Dich mehr oder weniger benutzt, leichte Beute gesucht, maximalen Spaß auf Kosten anderer gehabt etc. Diese verklärte Sicht deckt sich natürlich absolut nicht mit meiner Wahrnehmung. An eine so rosige Zeit erinnere ich mich jedenfalls nicht. Die Beziehung mit Constanze war alles andere als harmonisch, insbesondere in dieser Zeit sehr anstren­gend und frustrierend, und natürlich nicht frei von dem schlechten Gewissen, sie mit Dir zu betrügen. Und unsere Probleme sind Dir ja bestens bekannt; eine nur unbeschwerte Zeit hatten wir nicht und das betraf nicht etwa nur Dich, während mir alles egal war, weil ich nur ein bißchen Abwechslung gesucht habe. Ich konnte nicht komfortabel zwischen zwei Frauen wählen, sondern mußte versuchen, das Chaos zu kontrollieren, um zu verhindern, dass mir alles entgleitet. Die Unentschiedenheit, das Provisorische und Unklare hat mich natürlich auch belastet. Nur gut habe ich mich da wirklich nicht gefühlt. Ich muß deshalb auf´s Schärfste protestieren! Ich war auch nicht aktiv auf der Suche nach einer neuen oder zwei­ten Freundin oder sexueller Abwechslung oder was auch immer. Das verlief doch alles völlig ungeplant. Das wir uns dort getroffen haben auf der Party, uns anscheinend ziemlich anziehend fanden und uns Hals über Kopf in diese Beziehung gestürzt haben, war doch vorher nicht abzusehen gewesen. Natürlich hat die Krise mit Constanze das erleichtert.

Du hast sehr scharfsinnig analysiert, daß meine werte Frau nun auch nicht mehr im gebärfähigen Alter ist (obwohl die Grenzen ja heute fließend sind und man auch noch mit 60 Mutter werden kann), da sie nur ein Jahr jünger als ich ist. 8 Jahre! Dann hätte ich ja genau das gemacht, von dem ich Dir vorher erzählt hatte, es sei unmöglich. Da hätte ich doch gleich das Original (also Dich) nehmen können. Für so einen Trottel kannst selbst Du mich nicht halten. Aber stimmt, aus reproduktionstechnischer Sicht wäre es natürlich günstig gewesen. Von daher ist die Familienplanung  – zumindest in dieser Konstellation – abge­schlossen.

Glücklichsein ist ja nicht nur eine Frage von Titeln und Positionen. Jemand hat Glück mal definiert als die Abwesenheit von Schmerz und Langeweile; unter diesen Voraussetzungen darf ich mich dann wohl als glücklich bezeichnen. Ein weites Feld, dessen nähere Erörterung diesen Rahmen wohl sprengt ... (wäre aber vielleicht ein Thema bei einem wirklichen Treffen).

Heinz-Otto war tatsächlich der olivgrüne Opel. Fürchterlich häßlich, aber halt geschenkt bekommen und irgendwie ein Unikat. Ich habe ihn dann später für 50 (!) Euro  an eine Gruppe jugendlicher Opel-Fans aus Ostdeutschland verkauft (oder besser ver­schenkt), die ihn für Autorennnen dort haben wollten (der Arme, er hatte möglicherweise ein tragisches Ende). Und meine liebe Tusnelda, mit der ich in Griechenland und Rußland war. Mußte ich irgendwann schweren Herzens verschrotten lassen (Du siehst, mir fällt nicht nur die Trennung von Freundinnen schwer …). Und Dein Gedächtnis läßt Dich auch hier nicht im Stich: auf dem Weg zum Bewerbungsge­spräch in B. ist mir auf der Autobahn bei voller Fahrt die Motorhaube hochgeschlagen. Ich habe die Stelle dann ja trotzdem bekommen … Erinnerst Du Dich eigentlich auch an andere Details aus früheren Jahrzehnten so gut oder darf ich mir darauf etwas einbilden?

Daß Du mal auf Jule eifersüchtig warst, fiel mir erst jetzt bei Deinen Worten wieder ein. Stimmt. Und mit dem Blumenstrauß hast Du wohl ebenfalls recht. War ja eigentlich eine harmlose Sache; wir wohnten halt zusammen in der WG, sie war 19 und wäre vielleicht wirklich interessiert gewesen. Aber wie gesagt, ich war nicht auf der Suche und für Dich war sie sicher keine Konkurrenz. Aber wir haben uns gut ver­standen und saufen konnte man mit ihr auch recht tüchtig. Einmal an einem Abend haben wir zusammen eine Flasche Wodka geleert. Am nächsten Morgen hatte ich dann total verpennt, war erst mittags auf Arbeit erschienen und hatte deswegen ziemlich Ärger. Jetzt hat sie drei Kinder und lebt in E. und trinkt nicht mehr so viel.

Francesca oder Mia? Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich glaube Mia. Du weißt doch, wen ich meine. Es war eine kleine schwarzhaarige, die bei den Männern angeblich so gut ankam. Die war auch auf den Donnerstag-Partys immer dabei. Aber wer war dann Francesca? Hast Du Fotos?

Es freut mich natürlich zu hören, daß Dir fensterlose Löcher am Arbeitsplatz erspart bleiben. Vielleicht habe ich da etwas antiquierte Vorstellungen (Anästhesisten arbeiten im Neonlicht, langweilen sich ent­weder oder sind total in Action, weil vital Bedrohliches passiert, und gehen um vier Uhr nach Hause – in K. gibt es wohl sogar wirklich eine Abteilung mit Stechuhr). Ich hoffe nur, Ihr schaut nicht zu oft in die Ferne bei der schönen Aussicht … :-)

So, dafür, daß ich eine Auszeit bräuchte, habe ich ja jetzt doch wieder viel geschrieben.

Ich belasse es mal für heute damit.

Sei gegrüßt

Dein Damaliger