30.09. 17:46
Liebe Lena,
ja, ich war am Sonntag tatsächlich etwas genervt. Nichts Schlimmes, aber doch etwas sauer. Mir sagen lassen zu müssen, ich sei anstrengend, wo Du doch schließlich eingeschnappt warst („Du weißt auch echt nix mehr, oder?!“). Und durch die gestrige Mail ist das auch nicht besser geworden :-). Von daher entschuldige ich mich schon mal im Voraus für alles Folgende. Aber bei mir muß auch mal was raus.
Ich habe mich natürlich gefragt, woran das liegt und warum Du beleidigt bist (vielleicht warst Du es aber auch gar nicht und es klang nur so). Möglicherweise reagiere ich ja etwas empfindlich auf so einen Ton, aber schließlich ist es nicht das erste Mal in den letzten Wochen, daß Du zumindest ungehalten und verstimmt bist, weil ich Deinen Erwartungen offensichtlich nicht gerecht werde. Das Thema scheint für Dich eine zentrale Bedeutung zu haben. Ich kann mir schon vorstellen, woran das liegt und Du hast es ja auch gesagt: Deine Erinnerungen sind eben besser und da bist Du dann enttäuscht. Dieses Wissen oder Nicht-Wissen dient Dir letztendlich und vor allem als Test dafür, welche Bedeutung Du für mich hattest. Die Logik dahinter: je mehr Details von Dir, Deiner Familie, Deinen Lebensgewohnheiten, Ansichten etc. mir noch in Erinnerung sind, desto wichtiger warst Du mir. Diesbezügliche Wissenslücken bestätigen dann Deine sowieso schon zur Gewißheit erhärtete Vermutung, daß Du mir nichts, zumindest aber nicht viel, bedeutet hast. Du kannst das ja so sehen, ich habe es eh recht schwer, Dir das Gegenteil zu beweisen. Ich möchte nur zu bedenken geben, daß diese Theorie lediglich unter der Annahme korrekt ist, daß ich mir von anderen Menschen, die mir wichtig sind, alles merke – und zwar auch noch Jahrzehnte nach dem Kontaktabbruch. Das aber wiederum weißt Du doch überhaupt nicht. Aus meiner bescheidenen Erfahrung heraus geraten solche Dinge bei mir jedenfalls auch bei anderen Leuten in Vergessenheit. Was meinst Du, was ich allein von den letzten 15 Jahren so alles gelöscht habe. Schade natürlich, aber wohl kaum zu ändern. Meine Frau wäre wahrscheinlich froh, wenn ich von der Anfangszeit noch soviel wüßte wie von uns Beiden. Das ist doch nicht ungewöhnlich. Ich zumindest merke mir Vieles nicht ewig, welche Schlüsse Du auch immer daraus ziehen möchtest (mein persönlicher Stumpfsinn, allgemeines Desinteresse an anderen Menschen, Zerstreutheit, typische männliche Ignoranz, …).
Es ist mir nicht bekannt, ob ich mich dadurch nennenswert von anderen (männlichen) Personen unterscheide. Sicher gibt es Leute, die all sowas im Kopf behalten. Ich gehöre nicht dazu und werde das vermutlich auch in Zukunft nicht ohne beträchtlichen Aufwand ändern können. Vielleicht sind unsere Erinnerungen aber auch einfach verschieden und ich merke mir andere Dinge als Du, weil mir Anderes wichtig ist. Darüber sollte man auch mal nachdenken. Ich würde dem nicht so eine große Bedeutung beimessen und da viel reininterpretieren. Ich jedenfalls erwarte von Dir nicht, daß Dir meine Lebensumstände noch genau bekannt sind (auch wenn ich befürchten muß, daß Du da keine Schwächen zeigst). Und werde auch nicht an Deiner Zuneigung zweifeln, wenn Du Dich nicht mehr an das Alter meiner Mutter bei meiner Entbindung, Zahl, Alter, Geschlecht, Ausbildung und Lebensort meiner Geschwister oder andere, für mich wichtige Fakten und Ereignisse erinnern solltest. Es wird sicher immer wieder etwas geben, das Du mir mal erzählt hast oder das ich aus anderen Gründen eigentlich wissen müßte, es aber nicht mehr tue. Ich kann Dich da nur um Verständnis und Nachsicht bitten, denn es wäre schade, wenn es deswegen immer wieder zu nachhaltigen Verstimmungen kommen würde. Das ist das Thema, das ich gerne beenden würde.
Du fragst, warum ich Dir zum 30. geschrieben habe, aber diese Frage kannst Du Dir doch eigentlich selbst beantworten. Schließlich hast Du dieses Jahr das gleiche getan. Warum denn? Ich denke jedenfalls, ein 30. Geburtstag ist ein naheliegender Anlaß, um sich bei einer Person, von der man lange nichts mehr gehört hat, wieder einmal zu melden. Da braucht man doch nicht irgendwelche anderen (abwegigen) Motive zu unterstellen. Du kannst Dir anscheinend nicht vorstellen, daß ich sowas ohne Hintergedanken tue. Aber immerhin ein schöner Anlaß, zusammen mit Deinem Mann wild zu mutmaßen; dann war mein Bemühen ja nicht ganz umsonst. Als ich vor knapp zwei Monaten Deine Mail erhielt, bin ich jedenfalls nicht davon ausgegangen, daß Du gerade auf der Suche nach einem neuen Mann bist. Komische Vorstellung, erstmal an sowas zu denken. Anscheinend ein tiefes Mißtrauen. Entweder vermutest Du, daß ich gar nicht an Dich denke und wenn doch, dann höchstens aus taktischen Erwägungen, weil ich gerade eine Frau / Ablenkung suche. Nicht gerade schmeichelhaft, aber so ist es wohl.
Ich möchte Dich an dieser Stelle einmal diskret darauf hinweisen, daß Du es warst, die sich bei mir gemeldet hat und nicht umgekehrt. Und im Gegensatz zu Dir vor acht Jahren habe ich auch geantwortet. Wenn Du so an unseren Aktivitäten zweifelst, wie es aus manchen Deiner Mails herauszulesen ist („Warum lasse ich diese Konversation überhaupt zu“, „was machen wir hier eigentlich?“, „Man sollte wirklich keinen Kontakt mehr zu demjenigen suchen“, etc.), wenn Du denkst, das tut Dir nicht gut und alles hätte keinen Sinn, steht es Dir doch jederzeit frei, auszusteigen. Es zwingt Dich doch niemand, mir zu antworten. Ich möchte jedenfalls nicht das Gefühl haben, daß ich Dir irgendetwas aufnötige, was Du eigentlich gar nicht willst. In diesem Fall laß es bitte einfach. Mir ist auch nicht klar, wann und warum der Deckel wieder zuklappt und die Finger einklemmt. Das geht mir zumindest nicht so. Welche Enttäuschungen meinst Du?
> Es macht doch auch keinen Sinn, sich hinter einer Konstruktion zu verschanzen. Brauchst Du eine Scheinwelt, die dann auch noch solche Blüten wie letztes Wochenende treibt? <. Wenn Du meinst, ich suche eine Scheinwelt, scheint das Gleiche ja wohl für Dich auch zuzutreffen? Oder unterscheidet sich die Qualität dieses Austauschs zwischen uns Beiden? Brauchst Du denn eine Scheinwelt? Ich muß mir für jede Kontaktaufnahme unlautere oder eigennützige Motive unterstellen lassen (suche Abwechslung oder eine Scheinwelt). Dann erzähl mir mal etwas ausführlicher von Deinen Gründen. Würde mich interessieren.
Ich weiß ja auch nicht, wohin uns das führt. Ich habe keine diesbezüglichen Erfahrungen. Ich hatte noch nie so einen Email-Wechsel mit einer Ex-Freundin, zu der ewig kein Kontakt mehr bestand. Aber was glaubst Du eigentlich, warum ich soviel Zeit damit verbringe, Dir zu schreiben? Weil Du mir gleichgültig bist? Oder weil ich dringend eine neue (besser: bekannte) Frau brauche? Oder mich generell gerade langweile? Vielleicht gibt es ja auch irgendetwas Positives, was Dir einfällt :-)
So, ich habe mich hiermit genug ausgekotzt und mich ja schon am Anfang entschuldigt für den Ton, brauche ich hier nicht nochmal zu tun. Zur Versöhnung noch ein Gute-Nacht-Lied mit der göttlichen Alice Francis (eigentlich wollte ich das ja nicht mehr machen, aber wenn ich bei einem Lied an Dich denke oder wenn ich an Dich denke und mir fällt dabei ein Lied ein, fühle ich mich berechtigt, Dich das wissen zu lassen). Es gehört ebenfalls in die Rubrik Elektroswing und ich finde, der Song passt auch vom Inhalt her gerade sehr gut … Aber urteile selbst: www.youtube.com/watch?v=M_yMXe9GwZo
Liebe Grüße
Dein Johann