Ich bin gerade in keiner guten Verfassung. Ich vermisse Dich schon wieder so sehr und ich wäre jetzt so gerne zusammen mit Dir. Du hast mich gestern irgendwie mal wieder total umgehauen... Diese unglaubliche Nähe, dieses heftige Gefühl, mit Dir eins sein zu wollen, diese Einheit mit Dir, Dich zu spüren, Dich nicht los lassen zu wollen. Ich bin noch so absorbiert von Dir und diesen Gefühlen, dass ich nur schlecht im Hier und Jetzt klar komme und ich Schwierigkeiten habe, mich zu beruhigen.

28.12.   19.14    Re: ahnungslos

Hallo Liebchen,

ich versuche mich also nochmal an einer Beschreibung der Lage, einer Antwort auf Deine Mail und meinen Gedanken dazu. Ich habe zwar eigentlich das Gefühl, daß es nicht so viel Neues zu berichten oder erklären gibt, da wir solche Diskussionen schön öfters geführt haben und sich nicht viel geändert haben dürfte. Ich finde aber auch, daß man sich im Laufe der Zeit bezüglich grundsätzlicher Dinge immer mal wieder neu Vergewisserung verschaffen und die Situation erneut durchdenken und sich befragen sollte.

Du vermutest, daß das geplatzte Treffen nur der Tropfen gewesen ist, der das Fass zum Überlaufen bra­che. Sicher stimmt das in gewisser Weise. Aber es war auch den konkreten Umständen geschuldet. Wenn wir das Treffen nur um ein paar Tage hätten verschieben müssen, wäre es sicher kein großes Pro­blem gewesen. Aber die Optionen „morgen oder erst in drei Wochen“ fand ich sehr heftig. Wenn man sich sehen möchte und sich auf die Begegnung freut, weil es einem ja wichtig ist und man es auch ein­fach notwendig findet, den anderen zu sehen, ist das eine harte Alternative. Auch wenn die Hoffnung gering ist, stellt man sich doch ganz zwangsweise und automatisch emotional darauf ein, sehnt sich danach. Mit dem München-Wochenende geht es mir natürlich genauso. Auch wenn ich wußte, daß die Chancen nicht hoch sind, konnte ich nicht verhindern, mir die mögliche Zeit mit Dir schon mal in inneren Bildern detailreich auszumalen. Wie wir die Stunden tags und nachsts miteinander verbringen würden. Die Nähe. Das beglückende Gefühl, Dich einfach längere Zeit neben mir zu wissen. Gedanklich hatte ich Dich bereits in einem eineinhalbtägigen Umschlungensein vor mir. Diese Bilder muß ich jetzt wieder gewaltsam aus dem Kopf bekommen. Das Sehnen und das Greifen nach jedem Strohhalm, der sich bie­ten könnte, macht doch immer wieder schlagartig deutlich, wie bitter es eigentlich ist, so weit auseinan­der zu leben und sich so selten zu sehen. Und das ein geplatztes Treffen bei uns gleich bedeutet: ver­schoben um viele Wochen. Mir ist klar, daß es auch erstmal so weitergehen wird; wir hatten gerade über die Schwierigkeiten gesprochen, sich Wochenenden freizuschaufeln.

Natürlich verbirgt sich deshalb hinter dem Frust über die stornierten Verabredungen ein generelles, grundsätzliches Problem: wir sehen uns zu selten und ich finde das belastend. Das ist nicht neu, wird aber bei einer immer längeren Beziehung auch ein immer größeres und eben auch grundsätzlicheres, für das Verhältnis zueinander existentielles Problem. Jemanden, den man so gern hat und zu dem man sich so hingezogen fühlt, möchte man einfach öfter sehen. Ich denke, daß ist ein legitimes und nachvollzieh­bares Gefühl (mal ganz unabhängig davon, wie und ob man es realisieren kann). Meine Reaktion hat mir deshalb wie bereits beschrieben nur etwas gesagt, was ich sowieso weiß: daß dieses seltene Sich-Sehen manchmal einfach unerträglich ist. Es ist abartig und wird dem aus der Zuneigung gewachsenen Bedürf­nis nach Nähe und Begegnung in keinster Weise gerecht. Ich habe es vor Weihnachten so empfunden und tue es nach wie vor. Auch jetzt, auch morgen, auch übermorgen. Ich möchte Dich mit diesem Dir bekannten Problem nicht wieder unter Druck setzen und ein schlechtes Gewissen hervorrufen, aber Du wolltest ja wissen, wie es mir geht und was los ist, und ich kann deshalb nicht verhindern, mich zu wie­derholen, weil ich es tatsächlich als ein sehr relevantes Problem wahrnehme.

Die derzeitige Art unserer Beziehungslogistik ist als Dauerzustand und Langzeitlösung einfach zu wenig (Dir vielleicht irgendwann auch). „Ich kann einen Menschen, dem ich so nahe stehe wie Dir, nicht nur alle paar Wochen oder Monate für ein paar Stunden sehen und die übrige Zeit von dessen Leben ausgeschlos­sen sein oder es allenfalls wie ein interessierter Zuschauer bruchstückhaft erzählt bekommen. Das geht einfach nicht. Das ist auf Dauer nicht auszuhalten. Deswegen müssen wir uns irgendwann entscheiden zwischen Zusammenleben oder Kontaktabbruch – es wird kein Dazwischen geben können.“ Ich zitiere mich einfach mal selbst, um mich nicht zu wiederholen ;-).

Diese ganze wunderschöne und belastende Art und Weise, mit Dir zusammenzusein, kann ich aushalten. Ich werde sie vermutlich auch weiter aushalten können. Das geht aber nur, wenn ich dabei die Hoffnung habe, daß es sich mal ändern wird. Daß dies ein Zwischen- und Schwebezustand ist, eine Art Prüfung, die uns nicht von einem höheren Wesen auferlegt wird, sondern quasi von uns selbst, um zu schauen, wie ernst wir es meinen, ob wir wirklich füreinander geschaffen sind. Vor dem Hintergrund dieser Hoffnung freue ich mich jedes Mal riesig auf unsere Treffen, ich kann es kaum abwarten; ich möchte Dich manch­mal regelrecht verschlingen. Aber wenn diese Hoffnung wegfällt oder schon immer ein Trugschluß war, gibt es eigentlich keinen Grund, zusammenzubleiben, oder? Es geht mir hierbei nicht um nächste Woche oder nächsten Monat, aber um die mittel- und langfristige Perspektive. Obwohl wir ja öfters über solche Dinge gesprochen haben, bin ich mir nicht sicher zu wissen, wie Du dazu wirklich stehst. Ich kenne alle Konflikte und Schwierigkeiten, glaube aber trotzdem, daß Du in irgendeine Richtung tendierst; daß Du Dir auch Gedanken machst, die über ein allgemeines „Es ist alles kompliziert und ich weiß auch nicht so genau“ hinausgehen. Jedenfalls habe ich öfters die Vermutung, daß unsere diesbezüglichen Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen nicht die gleichen sind.

Von daher ist es für mich schon sehr entscheidend zu wissen, welche Zukunftsperspektive Du uns beiden gibst. Wenn man längere Zeit zusammen ist, ist das ja eine ganz natürliche Frage. Was willst Du? Was ist Dir wichtig? Wie stellst Du Dir das weiter vor? Wo siehst Du uns in 1, 2 oder 5 Jahren? Kannst Du Dir vor­stellen, daß wir einmal richtig zusammenleben wie ein ganz normales Paar? Nach all den Jahren der Trennung und Distanzbeziehung. Wäre das eine wünschenswerte, erstrebenswerte Vorstellung für Dich?

Wenn für Dich bei aller Unsicherheit und Ambivalenz klar ist, daß die jetzige Form unseres Miteinander das für Dich maximal Vorstellbare ist; daß Du auch langfristig nicht bereit bist, mehr zu geben bzw. Dei­nerseits kein Wunsch oder Wille und keine Bereitschaft für eine Veränderung der Lebenssituation da ist (aus welchen Gründen auch immer), sollten wir es wohl wirklich lassen. Dauerfrust kann ja keine Lang­zeitperspektive sein. Vielleicht hast Du mir die Antwort ja auch schon gegeben. „Ich glaube nach diesen ganzen Mails auch, dass Du im Moment mehr brauchst, als ich geben kann“; „Deine Sehnsucht und Dein Leidensdruck scheinen höher zu sein als bei mir, bei mir überwiegen die Ängste, die Kinder aus der Bahn zu werfen und dem langjährigen Partner weh zu tun“. Ist das die in schonende Worte verpackte Bot­schaft, daß wir zwar noch ein bißchen so weitermachen können, ich aber nicht erwarten soll, daß sich dadurch jemals grundsätzliche Änderungen ergeben könnten? Es klingt ein wenig so. „Bedeutet es tat­sächlich, dass Du darauf wartest, dass ich Dir mitteile, dass ich mich trenne“? Ich warte gerade konkret auf nichts, aber die Bemerkung klingt so, als sei dieser Wunsch etwas völlig Abwegiges. Für Dich gar nicht Vorstellbares oder Verhandelbares. Etwas, an das man sowieso nicht denken kann. „ ... oder vermisst Du vor allem den Einsatz für mehr Freiräume in dieser Konstellation?“ Natürlich wäre das auch schon eine große Hilfe. Für Dich nicht? Aber schwierig, wie wir hinlänglich besprochen haben (siehe Wochenendpla­nung …). Was bedeutet es, daß Du „im tiefsten Herzen extrem katholisch und wertekonservativ“ bist? Es klingt etwas komisch nach all dem, was die letzten Jahre passiert ist. Bedeutet das, daß man als katholi­scher und wertekonservativer Mensch ein bißchen (oder auch sehr ausgeprägt) parallel fahren und sei­nen Ehepartner jahrelang betrügen darf, aber wenn es ernst wird, weiß man, wohin man gehört? Du stellst Deine Bedürfnisse hinten an. Bedeutet dies, daß Du letztlich immer am aus Deiner Sicht Vernünf­tigsten festhalten wirst? Ich versuche nur, Deine Worte richtig zu interpretieren, zwischen den Zeilen zu lesen und zu verstehen, was Du mir wirklich sagen möchtest.

Wenn das so ist und Du Dir nicht mehr vorstellen kannst, muß ich das akzeptieren. Aber ich denke, daß wir dann doch wohl aufhören müssen. Welchen Sinn machen weitere Begegnungen, wenn einer von Beiden schon weiß, daß er niemals wirklich mit dem anderen zusammenleben wird? Mich jedenfalls würde es verletzen und schmerzen, mich immer wieder mit Dir zu treffen, wenn ich wüßte, daß Du zwar gerne heimlich ein paar schöne Stunden mit mir verbingst (und natürlich auch gerne schreibst und tele­fonierst), Du aber auch mittel- und langfristig nicht an einer Änderung des Status quo interessiert bist. Und so wie Du (früher), werde ich mich in dieser Rolle des verborgenen Geliebten auch immer als zweite Wahl fühlen; als Gespiele, mit dem man sich dies und das vorstellen kann, aber kein gemeinsames Leben. Ich weiß selbstverständlich, daß es Dir auch ernst ist und ich kein Gespiele bin; ich weiß, welche Mühen und Verrenkungen und Ängste Du für uns bereit bist, in Kauf zu nehmen, und das Du es Dir genauso wenig wie ich leicht machst. Das hast Du hinlänglich bewiesen. Aber in dieser Konstellation fällt es mir trotzdem schwer, es nicht auch so wahrzunehmen, wenn es zu einem Dauerzustand wird. Denn letztlich geht es doch bei all dem um die eine Frage: mit wem will ich zusammenleben, mit wem mein Leben tei­len? Das geht ja immer nur richtig mit einer einzigen Person. Ich empfinde uns zwar als Paar und würde jedem Anderen gegenüber sagen, daß wir schon seit langem wieder zusammen sind, aber wir wissen beide, daß das nur die halbe Wahrheit ist. Richtig zusammenleben tun wir eben doch mit unseren Ehe­partnern. Das ist erstmal logisch, schließlich haben wir uns in dieser Konstellation wieder kennengelernt. Aber wenn man so zusammen ist wie wir es sind, steuert man trotzdem unweigerlich irgendwann auf eine Grundsatzentscheidung zu; auf die ganz banale Frage: er oder ich bzw. sie oder Du? (und umge­kehrt). Es wird hier vermutlich kein Entrinnen geben. Dies ist letztendlich der Kampf, den wir seit Jahren miteinander austragen; darum geht es vor allem. Und es gibt dabei Gewinner und Verlierer. Wahrschein­lich mehr Verlierer als Gewinner.

In Deiner Mail hast Du geschrieben, daß ich wohl mehr investiere, mehr wage, mutiger bin und schon weiter als Du. Ich bin mir da überhaupt nicht sicher. Ich glaube, daß ich mehr unter der Situation leide als Du, daß mir häufigere Treffen und ein engerer Kontakt mehr fehlen als Dir, daß Du Dich mit diesem Dop­pelleben (erstaunlicherweise) besser arrangieren kannst als ich. Das ist natürlich ein großer Vorteil in dem Miteinander-Ringen. Ich glaube aber nicht, daß ich hinsichtlich einer Änderung der Lebenssituation mutiger oder weiter vorangeschritten bin als Du. Ich fühle mich damit genauso hilflos und überfordet und unsicher wie Du. Der höhere Leidensdruck bei mir mag aber der Grund sein, warum ich unsere Situa­tion mehr in Frage stelle, meinen Frust häufiger artikuliere und immer wieder darauf dränge, daß wir uns darüber Gedanken machen. Ich habe mich, bis ich Dich wieder kennengelernt habe, nie konkret mit dem Thema Trennung beschäftigt. Es wäre auch für mich ein enormer Schritt. Ein Schritt ins Ungewisse, vor dem ich mich genauso oder zumindest sicher ähnlich fürchte wie Du. Ich kann Deine diesbezüglichen Ängste deshalb sehr gut nachvollziehen (Deine Sorge vor einem Dasein als alleinerziehende Mutter ist meiner Meinung nach allerdings unbegründet, denn wenn wir so einen Schritt wagen sollten, würden wir es ja nur gemeinsam tun; davon gehe ich zumindest aus).

Ich denke, daß wir beide uns nach wie vor in einer sehr ähnlichen Situation befinden; ich konnte Deine Gedanken deshalb größtenteils sehr gut nachempfinden. Daß meine Kinder etwas älter sind, macht nach meinem Empfinden nur einen kleinen Unterschied. Am Montag in der Messe saß ich längere Zeit eng neben der Frau, mit der ich seit 18 Jahren zusammenlebe und mit der ich mich ja auch nach wie vor gut verstehe und die ich mag; ich dachte an mich und Diana, an die Kinder und wie gut es ihnen eigentlich geht; an die Wohnung, das Zusammenleben; das Geborgensein im elterlichen Kosmos, und und und. Diana ist nach meinem Eindruck gerade recht zufrieden mit ihrem Leben, es fehlt ihr nicht viel. Die Kin­der entwickeln sich zufriedenstellend und sind abgesehen von nicht zu vermeidenden Macken ziemliche Prachtexemplare, auf die man stolz sein kann, gerade auch mit ihren – manchmal anstrengenden – spe­zifischen Persönlichkeitsprofilen. Es geht uns allen eigentlich ja ganz gut. Gerade wenn ich mal mehrere Tage mit ihnen zusammen zu Hause oder woanders verbringe, stelle ich mir permanent vor, wie es wäre, sich zu trennen in dieser Situation. Der ganze Schmerz, die Enttäuschung, die Zerstörung der erwarteten Zukunft des verlassenen Partners, die Entfremdung, mögliche Streitereien, das ganze Elend eben. An dem ich dann (allein) Schuld wäre. Der nicht gerecht gewordenen Verantwortung, dem gebrochenen Versprechen. Diana würde es nicht verstehen, für sie käme es aus heiterem Himmel, ziemlich unerwar­tet, überraschend (denke ich zumindest). Wie die Kinder reagieren würden, ist schwer zu sagen, insbe­sondere bei Lisa. Die Vorstellung ist nach wie vor schrecklich. Ich dachte in der Kirche, warum Verände­rung gleich so viel Zerstörung nach sich ziehen muß und ob es keinen anderen Weg geben soll als Alles oder Nichts.

Andererseits – und das hat sich seit unserer letzten diesbezüglichen Bestandsaufnahme vor einiger Zeit natürlich nicht geändert und ist auch eine Wahrheit - bist Du mir extrem wichtig. Mein Leben und mein Sein und Denken dreht sich mental, emotional und körperlich um Dich. Die besondere Art unserer Bezie­hung, die speziellen äußeren Umstände, mögen zu all der Kristallisation nicht unerheblich beigetragen haben, aber nach über drei Jahren bin ich mir trotzdem sehr sicher, daß wir eine tragfähige und dauer­hafte und glückliche Beziehung zueinander haben können. Du schenkst mir die intensivsten Gefühle und Gedanken, eine Vielzahl außergewöhnlicher und beglückender Empfindungen. Wenn ich an Dich denke und Dich höre oder sehe, überkommt mich eine innere Erregung, die ich sonst nicht kenne. Ich meine das gar nicht unbedingt in sexueller Hinsicht (das auch), sondern es ist eine ganz allgemeine, alles betreffende Erregung. Du hast mich komplett durchgerüttelt und umgepolt. Ich liebe Dich nicht nur sehr, sondern bin zusätzlich auch noch schrecklich verliebt in Dich und fühle mich in jeder Form zu Dir hinge­zogen. Das ist eine ganz besonders schlimme Mischung ;-). Es scheint mir ein ziemlich dauerhaftes und unkaputtbares Gefühl zu sein. Dies macht das permanente Getrenntsein ja zu so einer Qual für mich.

Ich habe das tiefe Empfinden, daß wir ein Paar sind, daß wir zusammengehören und uns eigentlich nach all den Jahren in der Diaspora angemessen verwirklichen müßten. Da mag auch ein bißchen Abenteuer­lust mit reinspielen. Das Gefühl, nochmal aufzubrechen, etwas zu wagen, eine neue Stufe (des Glücks) zu erfahren. Sich zu verändern, neue Potentiale zu erschließen, sich nochmal anders zu verwirklichen. Aber das ist nur ein Aspekt. Du gehörst definitiv zu den Superlativen meines Lebens. Ich habe mich in diesen Jahren sehr auf Dich eingelassen. Ich glaube, es gibt keinen Menschen, zu dem ich mich mehr hingezogen und tiefer verbunden fühle und für den ich zeitlich, gedanklich und emotional mehr getan hätte (die Kin­der und meine Mutter lasse ich bei dieser Betrachtung mal außen vor, weil es andere Qualitäten sind). Ich scheue mich deshalb auch nicht, große Worte in den Mund zu nehmen und zu vermuten, daß Du vielleicht wirklich so etwas wie die Liebe meines Lebens bist. Das klingt sehr pathetisch und eigentlich mag ich solche Ausdrücke nicht; schon aus Angst, daß ich die Situation aus einer verzerrten Perspektive falsch wahrnehme. Aber mir fällt niemand sonst ein, der mit Dir um diesen Status konkurrieren würde. Ich würde sehr gerne mit Dir zusammenleben und glaube auch fest, daß Du mich glücklich machen kannst und ich Dich hoffentlich auch. Das spüre ich jeden Tag und bei jedem Treffen noch viel mehr. Es wäre nach unserer märchenhaften Geschichte jedenfalls schrecklich traurig, wenn wir nicht mehr als eine mehrjährige heimliche Distanzbeziehung hinbekämen, die dann aufgrund fehlender Perspektiven einfach schleichend oder abrupt verebbt und sich wieder in Nichts auflöst.

Aus diesem Konflikt zwischen Familie und langem Zusammensein einerseits und unserer wilden Bezie­hung andererseits ergibt sich bei mir genau wie bei Dir eine frustrierende und irgendwie auch zerstöreri­sche Patt-Situation. Ich habe manchmal das Gefühl, es zerreißt mich, weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Mein Leben wird dominiert von einer permanenten inneren Unruhe; ich habe Schwierigkeiten, mich auf andere und auf die Arbeit zu konzentrieren, bin unproduktiv und auch dadurch unzufrieden. Es ist ja eigentlich ein häufiges und irgendwie auch nicht unnatürliches Ereignis: in der Mitte des Lebens, nach­dem man mit einem Menschen so manches durchgestanden und aufgebaut und erlebt hat, verliebt man sich (wieder) unsterblich in eine andere Person, fühlt sich einer anderen Person verbunden und würde gerne richtig mit ihr zusammensein, obwohl man sich mit dem anderen Partner (schreckliches Wort) auch nicht überworfen hat und auch mit ihm weiterleben kann. Zumindest könnte, wenn die neue Per­son nicht aufgetaucht wäre.

Es ist tragisch. Ich empfinde diese Konstellation wirklich als eine persönliche Tragödie. Was ist die rich­tige Entscheidung? Sich der geliebten Person auf Dauer zu entsagen und standhaft zu bleiben, ist eine naheliegende Option. Ich müßte sehr stark sein dafür. Ich vermute aber, daß ich die Situation und das Drama dadurch nicht einfach entschärfen würde. Ich würde ja weiterhin an Dich denken, Dich vermissen und Dir nachtrauern. Ich kann mir nicht vorstellen, das einfach abzutun, so zu tun, als sei nichts gewesen. Ein paar Monate Trauer und Verzweiflung und dann einfach wieder weitermachen wie vorher. Das ist auch eine meiner Befürchtungen: daß es eigentlich schon lange kein Zurück mehr gibt; daß es viel zu spät ist, um einfach zur üblichen Routine zurückzukehren; daß ich die Uhr nicht einfach anhalten und zurück­drehen kann. So viel ist passiert. Es hat ja einen Grund oder Gründe, daß ich so einen enormen zeitlichen, gedanklichen und emotionalen Aufwand betreibe, um Dir irgendwie nah zu sein, so nah wie möglich eben. Ich bin Dir ganz verfallen; es ist eigentlich genauso wie in den beiden Medleys formuliert. Wie soll ich Dich wieder aus meinem Leben und Denken herausdrängen?

Eine Fortsetzung der jetzigen Konstellation erscheint Dir da vermutlich als erträglichste Variante. Natür­lich, nur wenn wir so weitermachen wie bisher, brauchen wir uns von Niemandem zu trennen, können Beides haben. Ich glaube, daß dies derzeit für Dich die attraktivste und bevorzugste Lösung ist. Klar, sie ist beschissen, aber in Anbetracht möglicher Alternativen immer noch das Beste. Zumindest lässt Du nicht erkennen, daß Du Dich von mir trennen möchtest, aber auch nicht, daß Du zu einer Änderung bereit bist. Ich kann es deshalb nur so interpretieren, daß Du diesen Zustand fortsetzen möchtest. Und ich frage mich auch ständig selbst, ob es für mich die bevorzugte Lösung ist. Weil es mir ja auch so schwer fällt, das Altbekannte wie auch Dich aufzugeben. Die Kinder in Unsicherheit zu katapultieren, die Ehefrau zu verletzen. Ich denke aber, daß wir auch bei diesem dritten Weg letztlich einen hohen Preis zahlen: wir müssen zwar weder auf die Familie noch auf uns verzichten, scheinen beides parallel zu haben; dafür können wir so aber auch nicht wirklich glücklich sein. Ich zumindest kann es nicht. Das „Nichts-aufgeben-müssen“ wird erkauft durch ein permanentes Gefühl, alles nur halb zu haben, gefan­gen zu sein in Unzufriedenheit, schlechtem Gewissen, starkem Vermissen, starker Eifersucht, unerfüllter Sehnsucht, dem ständigen Hin- und Hergerissensein zwischen zwei in dieser Form unvereinbaren Welten etc. In meiner Phantasie versuche ich mir andere Lösungen und Kompromisse vorzustellen; ein Mitein­ander; gelockerte, freiere Konstellationen, mit denen man alles unter einen Hut bringen kann. Aber ich glaube zu wissen, daß das alles Unfug ist; keiner unserer Ehepartner würde da mitspielen, es ist völlig unrealistisch. Ich kenne Paare, wo sowas scheinbar oder tatsächlich klappt; aber bei allen waren es sicher andere Ausgangssituationen oder eben andere Charaktere.

Wer möchte schon einen Menschen, den er gern hat und mit dem er seit langem zusammenlebt, verletz­ten und enttäuschen, die Beziehung zerrütten? Sich zu trennen, erscheint erstmal als eine sehr egoisti­sche Tat, bei der man seine Wünsche über alles stellt und das Leid anderer rücksichtslos in Kauf nimmt. Man muß sich aber doch auch fragen, was passiert, wenn man sich nicht trennt, obwohl man eine andere Person liebt und gerne mit ihr zusammen wäre. Ich hätte Dich gerne immer um mich herum. Jeden Tag und jede Nacht. Was passiert, wenn man das einfach ignoriert? Wäre den Beteiligten in die­sem Drama, sowohl uns wie auch unseren Ehepartnern, damit langfristig geholfen? Ist es wirklich die beste Lösung?

Wenn ich an das kommende, vor uns liegende Jahr denke, freue ich mich zu allererst auf die ein oder zwei nahe-liegenden, gegebenenfalls möglichen Treffen im Januar / Februar. Als wir telefonierten, hätte ich mit Dir noch lange über mögliche Termine sprechen können. Ich bin gleich elektrisiert, da übel kondi­tioniert – das Sich-Freuen-System wird sofort aktiviert ;-). Ich denke aber auch daran, daß wohl alles wie­der so ähnlich laufen wird wie 2018: wir werden Ostern, im Sommer und Herbst die üblichen Urlaube mit der Familie machen, die Wochenenden wie üblich mit der Familie und Freunden verbringen, das ganz normale Alltagsleben führen wie immer. Und dazwischen hoffen, zumindest einmal im Monat (im Som­mer sicher viel seltener) irgendwie ein Treffen hinzubekommen. Ich finde diese Vorstellung gerade unheimlich beklemmend. Ich frage mich, woher ich die Kraft nehmen soll, so weiterzumachen, ohne eine gewisse, konkretere Perspektive vor Augen.

Flo schrieb mir vor ein paar Tagen diesbezüglich: „Ich drücke Dir die Daumen, daß Dir eine gute Landung nach Deinem gewagten Sprung und der anstrengenden Flugphase gelingen möge.“ (das bezog sich bild­lich auf die entsprechende Weihnachtskarte, die ich Dir auch geschickt hatte).

Das wünsche ich uns beiden auch! Sehr, sehr, sehr!

Umschlinge Dich virtuell ganz heftig und leidenschaftlich

:-*