Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt

Das Weitergeben der besten Gene war sicher einmal das primäre Ziel, aber inzwischen ist doch mehr daraus geworden. Zumindest seit es den Menschen gibt, ist auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen ein Thema. Diese Endlichkeit und Sinnlosigkeit von allem kann für bewußte Wesen wie uns schon sehr frustrierend sein. Mich kann das auch deprimieren, wenn ich drüber nachdenke und zu Nihilismus und Apathie führen. Wozu leben, wenn sich wenige Augenblicke später wieder alles im totalen Nichts auflöst und es ist, als hätte es einen nie gegeben? Spätestens nach ein paar Generationen ist man in jedem Fall komplett vergessen. Da es bisher und vermutlich auch in absehbarer Zeit keinen Ausweg aus diesen bio¬logischen Gesetzmäßigkeiten gibt, ist es wahrscheinlich das Beste, einfach nicht darüber nachzudenken. Es führt zu nichts. Aber natürlich kann man sich das nicht immer effektiv verbieten. Der Biologe und Wis¬senschaftstheoretiker Manfred Wuketits hat mal ein kleines Büchlein mit dem Titel "Darwins Kosmos: Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt" geschrieben, wo er versucht, eine optimistische Sicht dieser Situation zu beschreiben. Das individuelle Leben kann auch sinnvoll sein, obwohl der ganze Kosmos keinen Sinn und kein Ziel hat. Mehr bleibt uns wahrscheinlich nicht.

 

Re: Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt

Habe mir das Büchlein heute morgen nochmal angeschaut. Für Dich glaube ich etwas zu langatmig; ich werde versuchen, die relevanten Passagen demnächst mal zusammenzufassen. Beim Durchblättern ist mir ein interessanter Absatz aufgefallen: „Wir sind angehalten, stets auf´s Neue darüber nachzudenken, was als moralisch gut oder schlecht gelten kann, welchen Werten und Normen wir den Vorzug gegenüber anderen geben sollten. Aber die Realität unseres Lebens lehrt uns – zum Ärger aller Moralapostel und Puritanisten –, daß wir stets Mischstrategien verfolgen und, je nach Lebenssituation, auch unsere moralischen Überzeugungen ändern.“

 

Re: Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt

> Willst Du mir etwa sagen, dass ich meine moralischen Überzeugungen ändern soll ...? Wie sehen denn Deine im Moment so aus...? Ich glaube ja, dass Du tatsächlich eher pragmatisch unterwegs bist ... ;-) <

Das Thema hat mich natürlich noch beschäftigt. Irgendwie bewundere ich ja diese Deine Art der Reali-tätsverleugnung. Manchmal muß ich aber auch schmunzeln, wenn bei Dir Ideal und Wirklichkeit so wenig übereinstimmen und Du trotzdem so tust, als sei Nichts gewesen. Keine Irritation, kein Zweifel. Bist Du Dir denn so sicher, daß Du Deine Überzeugungen nicht auch der Lebenssituation anpasst? Es würde das Leben zumindest manchmal etwas leichter machen.

Aber wahrscheinlich bin ich wirklich zu sehr Realist und Du zu sehr Idealist, als daß wir hier zu einer dec-kungsgleichen Beurteilung oder Ansicht der Situation finden können. Eine potentiell spannungsreiche Kombination. Oder macht das einen Teil des Reizes aus? Es ist sicher erstrebenswert, sich im Leben auch an gewissen Idealen zu orientieren. Anspruch und Haltung zu haben. Schwierig wird es nur, wenn diese Ideale mit der Wirklichkeit nicht kompatibel sind und zu Dauerfrust führen, weil man dem (unerfüllba¬ren) Anspruch nicht gerecht werden kann. Dazu gehört es vielleicht auch, wenn man bestimmte Sehn¬süchte konsequent verleugnet oder als illegitim wertet. Ich stehe Idealen ja immer eher skeptisch gegen¬über, weil zu viele von ihnen schon zu zuviel Leid geführt haben. Meistens beruhen diese Ideale auf einem falschen oder verklärten Menschenbild.

Der Begriff "pragmatisch" klingt ja eher abwertend, so als sei einem alles egal und man würde sich in seinem Verhalten nur von purem Opportunismus und Egoismus leiten lassen. Ich würde deshalb lieber von "realistisch" sprechen: akzeptieren, daß manche Dinge anders sind, als sie einem Ideal entsprechen, das oft nicht gelebt werden kann, weil es den eigenen Bedürfnissen letztlich nicht gerecht wird und deshalb vielleicht auch ein falsches Ideal ist. Ich gebe aber zu, daß dies eine schwierige Diskussion ist, da es ja auch als das Wesen des Ideals gesehen werden kann, nicht immer erreicht werden zu können, ohne daß dem Ideal deshalb seine Daseinsberechtigung abgesprochen werden kann.

Klingt Alles etwas abstrakt. Auf Dich bezogen bedeutet das für mich: ich kann nicht leugnen, daß Du mir nicht gleichgültig bist. Daß Du mir mehr bedeutest als eine bloße Freundin und ich immer mal wieder von Sehnsuchtsattacken heimgesucht werde. Daß ich mit Dir eine gewisse Form der Leidenschaft und Sinn¬lichkeit verbinde (nicht nur, aber auch), die wohl unkaputtbar ist und mich immer wieder schwach macht. Es ist deshalb möglicherweise kein Ausweg, es einfach zu leugnen und zu versuchen, diese Gefühle komplett zu ignorieren. Natürlich könnte ich stärker sein und alles unterdrücken. Dir nicht schreiben und Dich nicht treffen. Aber wäre ich damit glücklicher?

Wenn wir mehrere Nächte miteinander verbringen, müssen wir das doch Beide irgendwie in unser moralisches Koordinatensystem integrieren; andernfalls würden wir ja ständig mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen durch den Alltag gehen. Und das wäre wiederum sehr schade, weil es auch bedeu¬tet, daß man zu dieser Sehnsucht nicht stehen kann und sie immer verleugnen muß. Immer denken sollte, daß es falsch ist. Ich denke deshalb, daß ein glückliches Leben auch bedeutet, sich solche Dinge eingestehen zu können und sie zu akzeptieren. Es ist nunmal so und wir sind da keine Ausnahme. Und es ist eigentlich auch ziemlich normal und nicht weiter erstaunlich (abgesehen davon natürlich, daß unsere Geschicht im Speziellen ziemlich verrückt ist). Und wenn Du auch nicht nur von einem schlechten Gewis¬sen geplagt bist, heißt das doch nichts anderes, als das auch Deine moralischen Überzeugungen nicht vollkommen starr sind, sondern sich bestimmten Lebenssituationen anpassen können. Oder siehst Du das ganz anders?