05.08. Istrien und Der endlose Weg zur richtigen Frau
Hier tief im istrischen Hinterland ist nicht viel los. Überhaupt gibt es wenig Spektakuläres, das angeschaut oder unternommen werden müßte. Was durchaus von Vorteil ist. Die Zeit in dem kleinen Häuschen, das wir gemietet haben, ist deshalb recht entspannt. Die Hälfte bis zwei Drittel des Tages unternehmen wir etwas, den Rest haben wir Zeit zum Abhängen und für uns selbst. Was nicht schwierig ist mit zwei Teenagern, die jede Form von Programm sowieso eher als Belastung empfinden ... Außerdem gibt es Netflix. Wirklich ein Teufelszeug ;-). Wir kennen solche Serien ja eigentlich kaum und sind deshalb vermutlich besonders anfällig ;-). Ich habe Diana Orange is the new Black vorgeschlagen und sie war sofort angefixt. Schon nach der ersten Folge. Es scheint wie Crack zu sein. Was für mich aber den Vorteil hatte, mehr Zeit zum Lesen und Schreiben zu haben, als ich erwartet hatte :-). Eins ist uns allerdings völlig klar: zu Hause niemals ein Abo ...
Heute war schlechtes Wetter mit Regen umd Gewittern. Als es am späten Nachmittag besser wurde, habe ich eine (letztlich ungeplant fünfstündige ...) Wanderung durch die Pampa unternommen, um mal raus zu kommen und alleine zu sein. Glücklicherweise fand ich unerwartet und rasch einen sehr praktischen Weg: eine alte Eisenbahntrasse ohne Schienen, die zum Wanderweg umfunktioniert wurde ("Tour for Friendship and Health"), quer durchs Landesinnere führt und der man zu Fuß oder mit dem Rad fast bis nach Triest folgen könnte. Das war wirklich ein großes Glück, denn markierte, zuverlässige Wege gibt es in dieser touristisch nicht erschlossenen Region sonst kaum. So mußte ich mich auf nichts konzentrieren, da die Strecke denkbar simpel war, konnte einfach stumpf drauflos gehen. Und ging deshalb immer weiter, viel weiter als beabsichtigt. Zwischendurch ab und zu kleine Schauer, aber die haben nicht gestört, später ein kurzer kräftiger Regenguß, aber auch das war egal, die klamme Feuchtigkeit des Shirts fühlte sich sogar erfrischend an in der schwülen Hitze. Weite, hügelige, bewaldete Landschaft, alles sehr grün und einsam. Ich bin niemandem begegnet unterwegs. Der Himmel bedeckt, in der Ferne Blitze und Donnern. Bis ich nach zwei Stunden an den ersten Tunnel kam: ein schwarzes Loch, kein künstliches Licht, kein Tageslicht am anderen Ende erkennbar, somit unüberwindlich ohne Taschenlampe. Ich habe dann das kleine, mittelalterliche, sehr hübsche Bergdorf Motovun zum Ziel des Ausflugs erklärt und bin dort noch schnell hinaufgestiegen. Kletschnass verschwitzt kam ich oben an, die Lippen schmeckten salzig. Tolle Aussicht. Dort Pause auf der Terasse einer kleinen Taverne mit Blick über das Land. Omlette, ein Glas Rotwein bestellt und diese Mail begonnen (siehe Fotos unten). Jetzt muß ich aber ganz schnell zurück und hoffe, vor der absoluten Dunkelheit wieder anzukommen, sonst habe ich möglicherwesie ein Problem ...
Mir kamen beim Laufen direkt Espedals Zitate über das Gehen und das Denken in den Sinn. Und Erinnerungen an meine Deutschlandwanderung vor dreißig Jahren. An das kurze Roman-Fragment "Bilder deiner großen Liebe" von Wolfgang Herrndorf, das ich endlich mal zu Ende gelesen habe. Sein Werk und sein Tod sind so traurig. Mitten aus dem Leben und dem Schaffen rausgerissen. Ich dachte viel an Diana, die Familie, an Dich und die Zukunft. Heute war außerdem Folge 7 der Paardiologie dran. Solltest Du im Urlaub mal etwas Zeit für Dich haben, hör Dir die doch mal an, auch wenn es Dich eigentlich nicht interessiert. Zumindest in die zweite Hälfte. Es geht um das gegenseitige Kennenlernen und die Zeit danach. Bei den Beiden war es ja besonders krass: sie haben sich kurz nach der Geburt des ersten Kindes von den Ehepartnern getrennt. Ich würde gerne mal mit Dir darüber sprechen. Bei SPON gibt es einen Artikel mit dem schönen Titel "Der endlose Weg zur richtigen Frau" ;-).
Ich dachte auch an den Sommerurlaub letztes Jahr. Und vor zwei und drei Jahren. Es ist immer etwas ähnlich. Das Vermissen, meine ich. Das Schwer-Aushalten. Der Sommer als eine der vielen, regelmäßig wiederkehrenden Extremsituationen des Parallel-Beziehungs-Jahres. Ich habe kein klares Bild von der Zukunft, aber ich spüre, daß sich etwas ändern sollte, daß sich in meinem Leben etwas ändern sollte, daß ich raus muß aus dieser Sackgasse, diesem Stillstand. Und wenn ein schmerzvoller Weg unausweichlich ist, in der einen oder anderen Form, dann doch besser den Weg einschlagen, der der Richtige ist. Ich würde es wirklich wagen. Ich hänge sehr an Dir und bin im Gedanken andauernd mit Dir beschäftigt. Seit so vielen Jahren nun schon. Das hat doch etwas zu bedeuten. Ich habe eigentlich ein gutes Gefühl, wenn ich an diesen Weg denke. Aber es nützt gar nichts, wenn das nur einer von Zweien denkt. Nur wenn wir es Beide wollen, kann etwas passieren. Bei Roche und Keß war das so. Natürlich schreiben wir immer etwas Ähnliches; die Situation ist ja auch immer die gleiche; keine Veränderung. Was erwartest Du da inhaltlich von den Mails? Aber es ist doch trotzdem spannend, immer andere Worte für das gleiche Problem zu finden ;-)
Auf dem zu spät begonnenen Rückweg wurde es schnell dämmrig und leichter Dauerregen setzte ein, aber es war nicht schlimm. Mit Regenjacke drüber wäre ich nasser geworden - anfangs. Der Regen wurde stärker, aber es ging noch gut, ich lief schneller durch die Landschaft, in der Ferne und inzwsichen auch näher Blitze und Donnergrollen. Dafür roch es in der Feuchtigkeit sehr intensiv nach all den Pflanzen. Und ich habe das erste Mal einen Dachs in freier Wildbahn gesehen! Dann kam plötzlich ein starker Wind auf, die Baumwipfel tobten. Mehr Blitze, mehr Donner, dunkle Wolken überall. Die Szenerie bekam etwas Düsteres und Unheimliches. Mein Trost war, das ich mich eigentlich nicht verlaufen konnte auf dieser alten Trasse, ich mußte mich nicht konzentrieren und auf etwas Spezielles achten, zur Not wäre ich wahrscheinlich auch in der Dunkelheit weitergekommen. Ich mußte einfach nur gehen, aber der Weg war noch lang ... Joggen war auf Dauer zu anstrengend, aber schnelles Gehen ging. Die letzte Stunde wurde dann aber extrem: ein Platzregen setzte ein, der Sturm wurde stärker, ich war bald im Zentrum eines richtigen Unwetters. Nach kurzer Zeit war nichts mehr trocken an mir, das Wasser lief überall an mir runter und in jede Ritze rein, dazu heftiger Wind und über mir Donner und Blitze. Ich glaube, ich habe noch nie so nah Blitze einschlagen gesehen, ein unheimlicher Lärm. In den bewaldeten Abschnitten war es schon recht dunkel, durch die nasse und beschlagene Brille konnte ich kaum noch etwas klar erkennen. Ich lief nur noch durch Wasser, der Weg war ein langes stehendes Gewässer. Aber egal, ich hatte keine Wahl und mußte da durch. Einfach weitergehen und hoffen, das die elektrischen Geräte in Rücksack und Hosentaschen überleben würden. Und ich von keinem Blitz als lohnendes Ziel auserkoren werde ... Ich sah schon die Schagzeilen: "Sein letzter Anruf erreichte die Famlie aus Motovun. Er wollte danach nur noch zurücklaufen. Aber er kam nicht mehr an. Am nächsten Tag fand man die verkohlte Leiche auf dem Weg, nur wenige hundert Meter von der rettenden Unterkunft entfernt ..." Nach einer gefühlten Ewigkeit näherte ich mich endlich dem Ort. Die Straße hoch zum Dorf war ein Bach geworden, durch den ich rasch hochlief; es donnerte und blitzte weiterhin wie verrückt um mich herum. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam ich an. Aus der geplanten kurzen Wanderung war ein Extremtrip geworden. In der Wohnung lief das Wasser unter der Haustür in den Raum und aus der Abzugshaube auf den Herd, das WLAN war ausgefallen ...