> Scheint mir recht anstrengend zu sein, dieses Buch. Und ich frage mich, warum Du bei uns daran denken musst ... <

Genau kann ich mich an Camille und Georg nicht mehr erinnern. Sie war sehr indianisch hübsch und schon recht erwachsen. Die Beiden hatten eine kurze und äußerlich harmlose Teenager-Romanze, in der nicht viel passierte außer küssen und philosophische Gespräche (Bald begriffen und ertrugen sie keinen anderen Zustand mehr als den ihrer offen ausgesprochenen Liebe). Mit Sartre versuchte Georg, zu den Geheimnisen der Existenz vorzudringen und der kleinstädtischen Langeweile zu entfliehen. Er wollte natürlich mehr, aber sie ließ ihn nicht. Wahrscheinlich weil er sich zu unbeholfen verhielt. Sie trennte sich dann bald und beide gingen verschiedene Wege. Für ihn war das letztlich ein Trauma, das er nie verstand. Sie ließ ihn nicht mehr los, er war ihr und ihren Reizen in gewisser Weise für den Rest seines Lebens verfallen (… das Bild Camilles in einem Rahmen von Schlaf, Lust und Schmerz). Eine frühe und unumkehrbare Prägung. Die sexuelle Fixierung auf Camille entwickelte sich immer mehr zu seiner Obsession, zur großen Liebe oder erotischen Fantasie, zum Maß aller Dinge. Und: Er las bei Freud, daß nichts schmerzlicher sei als der Verzicht auf einmal gekannte Lust (!?). Der Protagonist machte beruflich zig verschiedene Dinge, reiste viel herum und hatte eine Frau nach der anderen ( …und er erkannte im Verlauf der folgenden langen Nachmittage etwas, daß bei Lisa nicht so deutlich geworden war: die erschöpfende Uferlosigkeit weiblicher Lust). Ja, er war sexuell sehr umtriebig, das stimmt. Soweit ich das sehe, soll die Rumvögelei aber hier verdeutlichen, daß ihm letztlich keine dieser Frauen gefiel, ihn länger halten konnte. Es war immer nur Ablenkung von Camille (Nur im Augenblick der Tat, als das vaginale Nichts um seinen Schwanz herum für Minuten verschwunden war, hatte er Camille völlig vergessen). Die ganzen sexuellen Ausschweifungen lassen ihn letztlich kalt. Er blieb unerfüllt und eigentlich immer auf der Suche nach Camille, seinem erotischen Fetisch. Obwohl er nie mit ihr geschlafen hatte. Eigentlich spielt sich alles in seiner Phantasie ab; und diese erotisch-sexuellen Vorstellungen nehmen in dem Werk einen breiten Raum ein. Viel Kopfkino, mit großer Sprachgewalt beschrieben ;-). Die imaginäre Camille ist aber noch mehr; sie steht im Zentrum seiner Existenz, sie ist die Triebkraft seiner Suche nach Erfüllung und der ganzen Auseinandersetzung mit der Welt, das größte Abenteuer seines Lebens. In längeren Abständen sahen sie sich; diese Treffen waren aber glaube ich immer recht krampfig und eher frustrierend. Später schliefen sie dann auch endlich mal miteinander, aber mehr beiläufig und unspektakulär, es war ein belangloser Akt, wenn ich mich recht erinnere, der im krassen Gegensatz zu seinen leidenschaftlichen Phantasien stand. Beide heiraten auch zumindest ein Mal und trennen sich wieder von ihren Partnern. Wie das ganze Drama endet, weiß ich nicht mehr, jedenfalls ist mir ein Happy End nicht erinnerlich. Es geht in dem Buch aber auch ganz allgemein um den Rausch: ein LSD-Horrortrip, der ihn fast umgebracht hätte, resultiert bei Georg ganz am Anfang in einer gesteigerten Wahrnehmung der Wirklichkeit. Er empfindet die Schönheit und Kostbarkeit der Welt und seine Endlichkeit ganz neu und intensiv. Er merkt, daß die wahren und großen Rauschzustände seines Lebens das Sehen und das Denken sind. Und als Drittes kommt dann noch die Erotik dazu, die sich in Camille manifestiert ... Ja, so war das mit Camille und Georg. Und wenn ich daran denke, bin ich jedesmal beunruhigt … Ich lese das Werk jetzt nochmal, vielleicht mit anderen Augen ...

26.07.   Mit Camille in der Zukunft

In dem Augenblick, in dem er die flüchtige Nachgiebigkeit Camilles spürte, war es womöglich folgerichtig, genau an das zu denken, was in sein Leben treten konnte, wenn er Camille verfiel. Diese wie schon verfilmte, nur noch nicht aufgeführte Zukunft: gemeinsam nackt im Meer schwimmen, wie aufgelöst im karibischen Smaragd; eisleckend durch eine Nacht in Athen gehen; ihre staubgeschwärzten nackten Zehen in den Sandalen, abends, auf dem Rand eines Brunnens auf dem Campo dei Fiori; ein Tisch unter Olivenbäumen, auf dem eine Kerze flackert; die Liebe unter einem weißen Moskitonetz, zwischen scharrenden großen Ventilatoren. Schnitt

24.06.   LiebesgedönZ

Und ich denke an Georg und ob es mir genauso ergeht wie ihm mit Camille. Daß ich Dich einfach nicht mehr los werde, egal was ich tue. Daß Du mich bis ans Ende der Tage verfolgen wirst. Und ob ich das dann schön finden soll oder schrecklich?

25.06.   Re: Tausend Tränen Tief

Natürlich will ich mich eigentlich überhaupt nicht von Dir trennen! Wahrscheinlich ist die Situation für mich aber gerade nicht ganz so bedrückend wie für Dich, weshalb es für mich auch nicht so abwegig ist, Dich im September treffen zu wollen.

Aber Deine Argumente kann ich natürlich auch verstehen. Was soll ich jetzt also sagen? Ich kann ja nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Das Schlimmste daran ist, dass ich Dir gerade nicht in Ruhe schreiben kann. Ich würde Dir auch gerne was dazu schreiben, was Du für mich bedeutest, wie Du für mich irgendwie auch Camille bist. Aber es gibt gerade nicht so viele Gelegenheiten, mich mal etwas länger zurückzuziehen zum Schreiben...

:-* :-* :-*

02.08.  der Traum

Guten Abend meine Liebe,

hoffe, Du hattest einen kurzweiligen Tag bei mütterlicher Fürsorge daheim. Heute bekommst Du also zur Abwechslung und wie angekündigt mal ein kleines Geschenk von mir :-). Angst haben mußt Du davor glaube ich nicht (oder waren frühere Geschenke schon mal zum Fürchten?). Es handelt sich um nichts Großartiges, sondern nur um ein Lesegeschenk sozusagen. Ich arbeite mich ja langsam, aber kontinuierlich durch mein derzeitiges altes Lieblingsbuch (NK) und habe jetzt einen, nein eigentlich sogar zwei der dramaturgischen Höhepunkte des Werks passiert (zumindest in erotischer und/oder psychologischer Hinsicht ...), die ich unbedingt mit Dir teilen muß. Nachdem Du von mir bereits eine eher allgemeine Abhandlung des Inhalts erhalten hattest, ist es jetzt Zeit für zwei plastische Beispiele der Sprach- und Phantasiegewalt Thomas Lehrs. Die eine Szene behandelt eine erotische Phantasie, die andere exzessives Verliebtsein (!); beide sind aber ganz anders und auf ihre Weise sehr reizvoll, wie ich finde. Hier kommt der erste Teil. Ich hoffe somit, daß Du nach getaner Arbeit und / oder Erholung nicht nur Zeit, sondern auch Lust hast, Dich abends / nachts im stillen Dach-Kämmerlein (?) an den sechs Buchseiten Lektüre zu erfreuen, die in einer netten Pointe enden (siehe auch den Anhang, falls es so besser lesbar ist). Bin gespannt, was Du davon hältst (wenn Du überhaupt etwas davon hältst) …

Kurz zur Ausgangslage: Georg absolviert gerade mal wieder einen seiner seltenen Besuche bei Camille in deren Universitätsstadt K. (Karlsruhe?), wo sie Biologie studiert (und sich besonders intensiv mit der Heuschreckenforschung beschäftigt). Er übernachtet auch bei ihr in der Altstadt-WG – leider mal wieder nicht in ihrem Bett, sondern im Nebenzimmer ihres gerade verreisten Mitbewohners Siegfried :-(. Immerhin stellt sie ihm für die Nacht ihren Schlafsack (mit ihren Gerüchen!) zur Verfügung – eine freundschaftliche oder vielleicht doch eher perfide und subtil sadistische Geste. Beim Hineinkriechen assoziiert er die enge Röhre dann auch gleich mit einer knisternden Vagina, die seinen Körper stellvertretend inkorporiert. Das ist seine psychische Grundbefindlichkeit (!), als er – halb eingedämmert – Geräusche und Stimmen hört und diese gleich im Sinne des spät nachts die Wohnung betretenden Freundes Camilles (ebenfalls ein Heuschreckenforscher) deutet. Dann hörte er ein erstes unterdrücktes Seufzen …

„….“

13.04.  Re: verbockt

Jedenfalls bist Du zu einem riesigen Projekt in meinem Leben geworden. Psychiater würden vermutlich von einer überwertigen Idee sprechen (und je nach literarischem Kenntnisstand ggf. auf Camille verweisen ...). Manchmal denke ich, daß es ganz wichtig ist, alles aufzuarbeiten und auszuleben und auszuprobieren und nachzuholen. Und manchmal denke ich, daß es ein absoluter Wahnsinn ist, so viel Energie in ein so hoffnungsloses Unterfangen zu stecken. Aber zu versuchen, die Vor- und Nachteile rational gegeneinander abzuwägen, ist sowieso sinnlos, weil es keinen Einfluß auf irgendeine Entscheidung hat. Es passiert einfach und ich habe den Eindruck, dem Geschehen mehr ausgeliefert zu sein, als daß ich es überlegt und willentlich steuern kann. Ob es sich für uns gelohnt hat, werden wir vermutlich erst (viel) später wissen. Wenn überhaupt.